Plattenkritik: Radiohead – OK Computer (Parlophone)Keine Tickets, aber ein Album fürs Leben
13.9.2025 • Sounds – Text: Ji-Hun Kim
Die Zahl derer, die keine Karten für die Radiohead-Konzerte im Dezember bekommen haben, ist mit Sicherheit größer als die, die welche bekommen haben. Es ist immer doof, sich zum Mainstream zählen zu müssen. Dafür sind Erinnerungen stark und Musik kann auch anders Generationen überdauern.
Dass die Enttäuschung groß sein würde, war ja schon abzusehen. Als Radiohead vor zehn Tagen ankündigten, seit vielen Jahren wieder Konzerte zu spielen, bekam ich Anrufe und Nachrichten von einigen alten Freunden. Dass man da ja zusammen hingehen und man sich endlich auch mal wiedersehen könne. Wir besprachen, dass sich jeder von uns einzeln um einen Ticket-Code bewerben könne – was natürlich die Chancen vergrößerte – aber eigentlich war ich schon da ein wenig abgeturnt. Das mag am fortgeschrittenen Alter liegen (ich stelle mich auch nicht länger als zehn Minuten für einen Döner, Donut oder Burger an), andererseits ist es aber auch die wachsende Aversion gegen Hype-Ökonomien der Gegenwart, die mir (nicht zuletzt nach Labubu in Berlin oder auch Oasis) partout nicht gefallen will.
Das Rennen um die Tickets war wie bei „Takeshi’s Castle“. Einige kamen nicht mal zur Registrierung durch und flogen quasi im Vorfeld schon raus. Viele konnten sich registrieren, aber bekamen dann allerdings keinen Code. So wie ich. Die Einzige, die einen Code bekam, war meine Frau, die sich am Freitag auch brav an den Rechner setzte und über zwei Stunden wartete, um Ticket auszusuchen, diese in den Warenkorb schob – der Browser zeigte an, dass die Karten 16 Minuten vorgehalten würden – bis sie dann plötzlich wieder rausflog, die Tickets weg waren, sie sich nochmal von vorne anstellte, um dann festzustellen, dass alles ausverkauft war. Derweil explodierten die Angebote und Preise für Radiohead-Tickets bei den Reseller-Plattformen. Der Frust und Ärger (auch in diversen Foren) war dementsprechend groß.
Dann halt nicht. Hätte man sich sparen können. Ich scherzte schon im Vorfeld, dass es einfacher (und wahrscheinlich günstiger) ist ein Journalistenvisum für Russland oder China zu bekommen. In Russland war ich noch nicht. Für China hat das vor Jahren wenigstens geklappt.
Fairerweise muss man sagen, dass Radiohead sich zumindest bemühten, transparente und faire Preise aufzurufen, und eben nicht auf gieriges Dynamic Pricing wie Oasis setzten. Aber irgendwie ist der ganze Zirkus letztlich doch ganz schön albern geworden. Ich erwarte auch keine Epiphanie, war aber vom Weezer-Konzert in der Columbiahalle dieses Jahr dann doch so versöhnt und begeistert, dass ich allmählich verstand, dass das gemeinsame Altern mit Bands, auch etwas sehr Schönes haben kann. Auch wenn die Musiker einen nicht kennen, man hat doch über Jahrzehnte eine symbiotische Beziehung geführt.

28 DM – Als Konzerttickets noch bezahlbar waren. Hier für Radiohead mit Divine Comedy im Kölner E-Werk 1997.
Pogo zu „Paranoid Android“
Ich musste mich an mein erstes Radiohead-Konzert am 2. Juli 1997 im Kölner E-Werk erinnern. Das dritte Album „OK Computer“ kam zwei Wochen vorher raus und ich kannte es schon fast auswendig, so sehr berührte es mich. „The Bends“ war bis dahin eines meiner Lieblingsalben, aber dass „OK Computer“ so ein Meilenstein der Musikgeschichte würde, wussten zu dem Zeitpunkt auch die Kritik und das Feuilleton noch nicht. Als Vorband spielten die großartigen Divine Comedy. Dieser Abend im Sommer 1997 schenkte mir war eines der erleuchtendste und mitreißendsten Konzerte in meinem Leben. Ich reiste mit dem Zug aus dem Ruhrgebiet an und ging mit einem damaligen Freund aus Bergisch-Gladbach dort hin, bei dem ich auch übernachtete.
Die Show begann mit dem E-Moll-Arpeggio von „Lucky“, Thom Yorke im ausgedunkelten Raum sang „I’m on the roll …“ und mit dem Refrain explodierte das Licht, die Band und das Publikum. Konzertmäßig war es aber auch irgendwie auch eine seltsame Zeit. Heute kaum vorstellbar, dass man zu Radiohead-Songs wie „Just“ oder „Paranoid Android“ Pogo tanzt und von der Bühne springt, aber genau das passierte. In den Ansagen wurde klar, dass das der Band nicht so wirklich gefiel. Ich erinnere mich auch an ähnliche Szenarien bei Tocotronic-Konzerten zu der Zeit, bei denen die Band immer anmahnte, doch nicht so extatisch zu springen und zu schubsen. Auch weil es zum Großteil die Jungs waren, die derart ausrasteten und für die Mädchen das eher einschüchternd und beängstigend war. Bei beiden Bands war die Konsequenz, dass sie im Laufe der Zeit immer weniger schnelle und laute Stücke schrieben und spielten.
Als ich vorhin das Ticket für diesen Text raussuchte, um es zu fotografieren, musste ich auch über den Ticketpreis schmunzeln: 28 DM! Es waren einfach andere Zeiten.
Bestimmt ist es dem jungen gerade führerscheintauglichen Alter geschuldet, dass Konzerte aus dieser Lebensphase besonders intensiv und lange verhaften. Aber dass „OK Computer“ ein besonderes Album war, erkannte ich auch in dem Moment, als ich mit meinem Vater im Auto fuhr, „No Surprises“ lief, und er meinte: „Das ist aber schöne Musik, die du da hörst.“ Sonst neigte ich in den Jahren davor dazu, meine Eltern bei gemeinsame Fahrten auch gerne mit Cypress Hill und Bodycount zu malträtieren, auch weil sie die Texte nicht verstanden und ich natürlich wusste, dass die Musik ihnen nicht gefallen würde. Heute landen beide – aus Gründen – auch eher selten bei mir auf den virtuellen Plattenteller.
Noch bevor bekannt wurde, dass Radiohead ihre Konzerte in Berlin spielen würden, bekam das Album bei uns erneut ein großes Revival. Unser dreijähriges Kind ist großer Radiohead-Fan geworden. „Karma Police“ ist sein absolutes Lieblingslied, das er seit Monaten jeden Tag vor sich hinsingt und trällert. Wir spielen seitdem den Song immer wieder zusammen. Ich an der Gitarre oder Klavier und wenn der finale Teil einsteigt „For a minute there, I lost myself“, dann singt er mit einer Inbrunst mit, dass ich Freudentränen verdrücke wie damals mit 18 im Kölner E-Werk.
Es macht mich in der Tat glücklich, dass wir so früh eine gemeinsame Liebe für Musik teilen können. (Auch die Feststellung, dass die sonst übliche furchtbare Tonies-Kindermusik für Kinderzimmer nicht obligatorisch sein muss – man darf Kinder niemals unterschätzen.) Seit fast 30 Jahren spielt dieses Album in meinem Leben eine Rolle – und es entwickelt sich auf teils überraschenden Wegen immer weiter. Ich fragte mich auch schon, ob man Textpassagen wie „her Hitler hairdo“ irgendwie zensieren müsste. Aber das können wir dann besprechen, wenn er ein bisschen älter ist, wenn wir hoffentlich das Album gemeinsam mit der Familie weiterhin hören werden.