Mitgehört: Musik aus dem Filter-SchwarmHeute: Martin Backes – Künstler, Hacker und Musiker
3.6.2019 • Sounds – Protokoll: Martin Raabenstein, Illustration: Isabell SimonIn seiner Kolumne „Mitgehört“ befragt Martin Raabenstein ganz unterschiedliche Menschen, was sie musikalisch umtreibt. Von prägenden Momenten bis zu aktuellen Highlights: Die Jukebox des Filter-Schwarms wird mit jeder Folge bunter. Dieses Mal: Martin Backes. In seiner Kunst ist der Wahlberliner multi- und interdisziplinär unterwegs, Musik dabei oft eine entscheidende Komponente. Das kommt nicht von ungefähr. Denn Backes war erst Club-Betreiber und DJ, bevor er sich mehr und mehr der immersiven Kunst verschrieb. So jemand legt sich nicht auf einen Style, einen Track oder ein Album fest, wenn Martin Raabenstein mithört. Gut so.
Lieber Martin, stell dich doch zunächst kurz vor.
Ich wurde 1977 in Rosenheim geboren. Meine Eltern betrieben damals eine Pension in den Bergen. Dort habe ich aber nur die ersten beiden Jahre meines Lebens verbracht, dann sind wir zurück nach Franken. Aufgewachsen bin in dann also in Schweinfurt im schönen Frankenland. Nach der Schule habe ich eine Ausbildung als Brauer und Mälzer abgeschlossen. Ich war aber nie richtig glücklich damit und habe bereits erste Gehversuche als Musikproduzent und DJ unternommen. Die Kunst hatte es mir ebenfalls angetan. Ich habe dann irgendwann in Bamberg mit Freunden einen Club namens Morph betrieben, wo ich hauptsächlich als Resident DJ tätig war. Später habe ich im ganzen Land aufgelegt und auch in Bands gespielt. Zu diesem Zeitpunkt, also vor rund 25 Jahren, war ich praktisch ständig in Berlin, und die meisten meiner Freunde waren schon längst übergesiedelt. Der Club hatte mich damals etwas länger gehalten als gewollt, aber so um 2000 bin ich dann ebenfalls nach Berlin gezogen. Das war noch zu D-Mark-Zeiten, verrückt! Ich habe dann erst mal mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt. Danach habe ich zweimal studiert: Sound Studies/Akustische Kommunikation und Mediendesign/-kunst, beides an der UdK Berlin. Während des Studiums habe ich bereits zwei Studios gegründet, die auch immer noch existieren. „Studio Martin Backes“ für meine Kunst und „aconica - creative lab for sound + media“ für kommerzielle Projekte an der Schnittstelle von Design, Sound und Technologie. Außerdem habe ich viele Jahre als Sound Designer und auch als Interaction/UX- Designer und -Berater gearbeitet. Im Grunde bin ich als Freelancer für andere Firmen tätig, und als Künstler und Unternehmer für meine eigenen bereits erwähnten Unternehmen. Außerdem unterrichte ich seit gut zehn Jahren immer wieder als Dozent an diversen Hochschulen.
Schön, dass du uns in deinen musikalischen Alltag schauen lässt. Bevor es damit losgeht: Woran arbeitest du gerade?
Das ist bei mir ja, wie schon weiter oben beschrieben, nicht all zu einfach zu erklären, aber ich kann es gerne einmal versuchen. Beispielsweise habe ich gerade erst meinen Lehrauftrag an der „CODE – University of Applied Sciences“ für dieses Semester beendet. Was mir wieder mehr Zeit für alle anderen Projekte lässt. Zum einen habe ich als Künstler eine neue Arbeit mit dem Namen „Nature Changes Along with Us“ veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine generative 3-Kanal-Computer-/Videoinstallation. Die Arbeit beschäftigt sich thematisch mit dem menschlichen Einfluss auf unseren Planeten und mit unserem sich wandelnden Naturbegriff.
Ein weiteres Kunstprojekt aus meiner Machine Serie (siehe „What do machines sing of?“ und „I am sitting in a machine;”) befindet sich ebenfalls in der Fertigstellung bzw. sitze ich gerade an der Dokumentation. Die Arbeit ist im Endeffekt eine immersive AR-App für mobile Endgeräte bzw. ein 3D-Audio-fähiger Augmented-Reality-Walk, der Fragen nach Identität, Repression, Ungleichheit und Ungerechtigkeit aufwirft, natürlich im Kontext von Maschinen, Gesellschaft und künstlicher Intelligenz. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich relativ viel mit diesem Thema auseinandersetze.
Außerdem verantworte ich seit ca. einem Jahr als Designer und Berater ein großes Sound Branding/Audiovisual Branding Projekt für ein sehr erfolgreiches Berliner Startup. Wir geben dem Unternehmen kurz gesagt einen Klang bzw. eine komplette Strategie, wie mit dem Thema Sound hinsichtlich aller erdenklichen Kundenkontaktpunkte (Customer Touchpoints) umzugehen ist. Später wird das Ganze natürlich noch zu einem allumfassenden audiovisuellen Branding zusammengefasst. Außerdem arbeite ich auch als UX-Designer/Berater mit dem Schwerpunkt Mensch-Maschine-Kommunikation für diverse Firmen und baue zudem noch ein neues Design Sprint Business auf. Gibt also genug zu tun, hätte aber noch Kapazitäten frei …
Was hörst du zur Zeit gerne?
Ich höre in der Regel sehr unterschiedliche Sachen. Von klassischer Musik und Rock, über HipHop und sweetesten Soul hin zu elektronischer Musik und harten Klangexperimenten ist alles dabei. Außerdem versuche ich auch so oft es geht über den Tellerrand zu schauen und Musik aus anderen Gefilden zu entdecken, z.B. Musik aus Südamerika, Asien, Mittel- und Südafrika, aber auch aus der arabischen Welt. Ich habe sowohl ein großes Interesse an traditioneller Musik, als auch an neuen Sachen – am besten Musik, die beides vereint. Ich nenne mal ein paar Beispiele. Ich finde Techno aus Mali spannender als den aus Deutschland, oder HipHop aus Brasilien als aus den Staaten, weil sich vor Ort mit den Vermischungen unterschiedlichster Kulturen oft interessante Hybride ergeben. Das ist natürlich überspitzt ausgedrückt, ich höre auch Musik aus den Staaten und Deutschland, sehr gerne sogar. Anbei aber weniger Experiment, als vielmehr was ich aktuell gerne höre bzw. frisch eingetroffen ist.
Amnesia Scanner & Bill Kouligas – Lexachast
Holly Herndon – Proto
Little Simz – GREY Area
Branko – Nosso
Dino D’Santiago – Mundu Nobu
Rosalía – El Mal Querer
Was macht es so speziell für dich? Dazu hast du doch bestimmt eine sehr persönliche Geschichte zu erzählen. Was fasziniert dich zum Beispiel an Rosalia?
Bei Rosalia bin ich schlichtweg davon fasziniert, wie sie den Flamenco nahezu komplett reduziert und elektrifiziert hat. Die Mischung aus Flamenco, Electronica, HipHop, Trap und Field Recordings – gewürzt mit einer Prise Auto-Tune – finde ich einfach unglaublich gut. Bei Amnesia Scanner finde ich beispielsweise einfach die Sounds spannend bzw. die audiovisuelle Performance in Zusammenarbeit mit Harm van den Dorpel, die ich beim CTM Festival in Berlin gesehen habe. Little Simz ist endlich mal wieder guter HipHop im Geiste der Golden-Ära-Größen wie Foxy Brown, Lauryn Hill und Missy Elliott. Da die Dame aber von der Insel kommt, klingt das Ganze natürlich mehr nach UK als nach US. Holly Herndons LP „Proto“ finde ich ebenfalls super spannend. Die Tracks sind mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz bzw. Machine-Learning-Algorithmen entstanden. Sie arbeitet mit ihrem Partner Mat Dryhurst und einem Entwickler seit ca. zwei Jahren mit dieser Form der KI. Soweit ich weiß, geht es bei diesem Projekt wohl weniger um Automation als vielmehr um kollaborative Gestaltungsprozesse. Die KI ist nur als ein Mitglied eines 14-köpfigen Ensembles zu verstehen, zu dem auch Dryhurst und Entwickler Jules LaPlace gehören. Die übrigen Mitglieder der Gruppe sind Sängerinnen und Sänger, die die KI mit dem Namen Spawn durch ihren Gesang füttern bzw. trainieren.
Da ich seit einigen Jahren relativ oft in Lissabon bin und die Stadt gerade zu einer Art zweiten Heimat wird, höre ich natürlich auch immer wieder Musik aus Portugal. So hat gerade Branko (ehemals Buraka Som Sistema) vier Jahre nach seinem Solo-Debüt sein zweites Album „Nosso“ veröffentlicht. Songs zwischen Kizomba, Afro-House und Global Pop und zahlreiche internationale Gastauftritte entführen uns hier in den Melting-Pot von Lissabon. Eines meiner Lieblingsalben vom letzten Jahr von Dino D’Santiago stammt ebenfalls aus Lissabon. Dino ist hier in Deutschland leider so gut wie unbekannt. In Portugal hat er gerade sämtliche Preise abgeräumt, verdient, wie ich finde. Branko war auch hier an der Produktion beteiligt – neben Kalaf Epalanga (auch ehemals Buraka Som Sistema) und meinem guten Freund Paul Seiji Dolby (ehemals Bugz in the Attic), mit dem ich bereits vor ca. 20 Jahren das erste Mal aufgelegt habe. Seiji hat mir dann im letzten Jahr die LP schon einmal vorab zugesteckt und mich zu guter Letzt mit aufs Konzert in Lissabon genommen. Das war ein ganz wunderbarer Abend, und irgendwie wurde ich dann zum Fan. Anfangs hat mich die Platte noch gar nicht so in ihren Bann gezogen, aber nach dem Konzert gab es wohl kein Entkommen mehr. Das Album vereint Stile aus der gesamten portugiesischsprachigen Welt, wie beispielsweise aus Mosambik, Kap Verde, Angola, Brasilien, Guinea, São Tomé, ist aber natürlich sehr zeitgemäß produziert, mit genügend Low-End und abgestimmt auf moderne Dancefloors.
Verbringst du generell viel Zeit mit Musik? Wo hörst du am liebsten Musik und warum?
Ich verbringe sehr viel Zeit mit Musik. Ich bin ja quasi seit über 25 Jahren DJ, verfüge über eine riesiges Musikarchiv und produziere schon seit einer Ewigkeit. In meiner Kunst arbeite ich ebenfalls oft mit Ton. Wenn ich morgens aus dem Bett steige, schalte ich in der Regel erst einmal Musik an – ohne Musik geht gar nichts. Nach dem ersten Kaffee begebe ich mich meistens ins Studio bzw. Büro, wo eigentlich immer Musik läuft. Das geht natürlich nur dann, wenn ich selbst nicht gerade mit Ton arbeite. Also wahrscheinlich ist mein Studio der Ort, an dem ich gerade am meisten Musik höre. Da habe ich ein 4.1-Lautsprecher-System mit Subwoofer. Manchmal höre ich auch Musik im Bett, um mich wirklich nur darauf konzentrieren zu können, aber vor allem auch unterwegs und beim Training. Ich habe letztes Jahr ein Paar Bluetooth In-Ear Kopfhörer gefunden, mit denen ich in Sachen Klangqualität endlich zufrieden war. Was ich bis dato an kabellosen In-Ears probiert hatte, war mir schlicht weg zu minderwertig. Ohne diese Kopfhörer gehe ich nicht aus dem Haus.
Was ist deine älteste tonale Erinnerung?
Bezüglich Musik würde mir da der Klang bzw. das Schlagzeug meines Vaters einfallen oder die Musiksammlung meines Bruders. Mein Bruder ist gut zehn Jahre älter als ich und war da dementsprechend etwas weiter. Mein Vater hat mich als Kind natürlich nie an sein Schlagzeug gelassen, ich musste also tagsüber heimlich in den Keller, um mal darauf rumhämmern zu können.
Und dein All-time-favourite? Track oder Album?
Solche Fragen beantworte ich in der Regel sehr ungerne, LOL. Da müsste ich mich ja auf nur einen Track oder ein Album festlegen, und das ist mir einfach viel zu eng. Schließlich gibt es so unglaublich viel gute Musik bzw. Lieblingsalben. Aber ich kann gerne einfach mal ein paar Künstler aufzählen. Also beispielsweise wären da Alben von 4hero, Amy Winehouse, A Tribe Called Quest, Air, Aretha Franklin, Aphex Twin, Alva Noto, Alvin Lucier, Anti Pop Consortium, Autechre, Basic Channel, Beastie Boys, Björk, Brian Eno, Bob Marley, Buraka Som Sistema, Burial, Cabaret Voltaire, Can, Cluster, D`Angelo, De La Soul, DJ Shadow, Dr. Dre, Ed Rush, Einstürzende Neubauten, Francisco López, Funkadelic, Grandmaster Flash, Herbie Hancock, James Blake, James Brown, Jamie Lidell, Jimi Hendrix, Janelle Monáe, John Coltrane, John Zorn, Daft Punk, De La Soul, DJ Rashad, Ella Fitzgerald, Flying Lotus, Karlheinz Stockhausen, Kraftwerk, Lauryn Hill, Madonna, Massive Attack, Major Lazer, MIA UK, Michael Jackson, Miles Davis, Missy Elliott, N.W.A, Neptunes, Nina Simone, Nina Simone, Nirvana, Outkast, Pharrell Williams, Prince, Public Enemy, Ray Charles, Roni Size, Reprazent, Run-DMC, Sonic Youth, Optical, Parliament, Photek, Portishead, Prodigy, Stevie Wonder, SuperCollider, Sun Ra, The Art of Noise, The Beatles, The Beach Boys, The KLF, Thundercat, Throbbing Gristle, Wu-Tang Clan. Ich könnte ewig so weiter machen, und wahrscheinlich fallen mir morgen noch weitere ein. Aber ich sag mal: Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.